Feierstunde anlässlich des Volkstrauertages

14. 11. 2021

Am diesjährigen Volkstrauertag wurde auch in der Gemeinde Pohnsdorf der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht.

 

 

 

Hier der Text der Ansprache von Bürgermeister Marco Lüth:

 

Im Namen der Gemeinde Pohnsdorf begrüße ich Sie und Euch zur Feierstunde anlässlich des Volkstrauertages. Besonders heiße ich die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr mit ihrem Wehrführer Mark Soetbeer sowie Frau Pastorin Yasmine Glatthor von der Bodelschwingh-Kirche der Kirchengemeinde Preetz willkommen. Auch in diesem Jahr wird Jürgen Meyke hier am Gedenkstein das Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“ spielen. Vielen Dank dafür!

 

Bereits seit einigen Tagen ist im Gemeinschaftshaus eine den Volkstrauertag begleitende Ausstellung des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zu sehen. Diese Ausstellung kann jetzt direkt im Anschluss und auch noch die nächsten Tage besucht werden. Damit soll allen die Gelegenheit gegeben werden, sich in Ruhe die einzelnen Informationstafeln anzuschauen. Es ist sehr lohnend, dass der Volksbund sich bereit erklärt hat, uns bei der Ausgestaltung des heutigen Tages zu unterstützen. Dies geschieht nicht nur in Form der genannten Ausstellung, sondern ich darf heute den Bildungsreferenten des Volksbundes Ralf-Jürgen Ragwitz bei uns begrüßen. Er wird uns im Anschluss im Dorfgemeinschaftshaus etwas zur Ausstellung, aber auch zur Arbeit des Volksbundes sagen. An dieser Stelle sage ich Ihnen vielen Dank für Ihr Kommen.

 

Über eineinhalb Jahre ist unser Leben jetzt von den Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägt. Eine sehr wahrscheinlich durch die Natur hervorgebrachte neue Krankheit brachte großes Unheil in die Welt. Es gab Einschränkungen in den persönlichen Freiheiten, wirtschaftliche Sorgen, psychische Herausforderungen, Infektionen, Krankheit und Tod. Sehr viele Menschen haben gelitten und die Diskussionen über das Richtig und Falsch nehmen breiten Raum in unserer Gesellschaft ein. In Deutschland sind annähernd 100.000 Tote im Zusammenhang mit Corona zu verzeichnen. Trauer und Leid herrschen bei den Angehörigen und Freunden der Verstorbenen. Zurecht sind unsere Gedanken bei diesen Menschen und wir sprechen Ihnen Mut und Zuversicht zu.

Der heutige Tag lenkt die Blicke aber nicht auf die Menschen, die unter Krankheiten oder Naturkatastrophen leiden. Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. An die Opfer des von Menschen gemachten Unheils.

 

Über Jahrhunderte bis in die heutige Zeit herrschten und herrschen auf der ganzen Welt Krieg und Tyrannei. Menschen werden verschleppt, gequält, gefoltert, ermordet. Sie ziehen in den Krieg und werden gezwungen, ihnen unbekannte Menschen zu töten. Das alles aufgrund der Befehle der Herrschenden. Befehle, die Witwen und Waisen, körperlich und seelisch versehrte Menschen hinterlassen.

 

Allein der zweite Weltkrieg führte zu über 50 Millionen Toten. Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, Opfer von Verfolgung und Vernichtung. Menschen aller Kontinente, aller Völker, aller Religionen. Mütter und Väter, Omas und Opas. Alte und junge, Kinder und Babys. Keine Familie wurde verschont, das Schicksal schlug oft zufällig zu.  

 

Welcher Schmerz. Welche Qualen. Welches Leid. Ein Leid, das uns verstummen lässt.

 

Und welche Erinnerungen haben wir, die heute Lebenden, an den Krieg?

 

Es gibt sie noch, die Kriegsgeneration. Zivilpersonen und Personen, die in der Wehrmacht aktiv waren. Die die Grausamkeiten des Krieges mit eigenen Augen gesehen und erfahren haben. Die über Ihre Erlebnisse über Jahrzehnte nicht oder oft nur verzerrt erzählt haben. Es gibt Sie noch, die Personen, die als kleines Rädchen im nationalsozialistischen Regime ihre Funktion gehabt haben. Heutige Generationen werten die Beteiligung an den Verbrechen im Dritten Reich anders als vorherige. Die Jahrzehnte des Verdrängens, Schweigens und Verdeckens sind vorbei. Es werden Anklagen wegen schwerster Verbrechen erhoben, obwohl diese Jahrzehnte zurückliegen und die Angeklagten im Greisenalter sind.

 

Aber nein! Wir dürfen der Opfer willen nicht vergessen!

 

Wir dürfen nicht die Menschen vergessen, die von Despoten und ihren Handlangern unterdrückt und ermordet wurden. Regime, die es auch heute noch vielfach auf der Welt gibt. Millionen Menschen, die aktuell auf der Flucht sind, zeugen davon.

 

Und es gibt die Menschen, die unter den Kriegs- und Gewalt­einwirkungen gestorben sind. Diese Menschen konnten ihr Leben nicht weiterleben. Sie wurden der Möglichkeit beraubt, eine eigenständige und selbstbestimmte Entwicklung ihres Lebens zu verwirklichen.

 

Der verdammte Krieg zerstörte alle ihre Zukunftspläne.

 

Die Toten können uns nicht mehr direkt berichten. Aber unsere Erinnerung an Sie kann uns informieren. Erinnerun­gen, die uns die Hinterbliebenen übermitteln. Erinnerun­gen aus alten Aufzeichnungen und Fotoalben.

 

Es gibt aber auch weltweit die Orte der Erinnerung an diese Menschen. Schlachtfelder, Gedenkstätten und Kriegsgräber.

 

Ich berichte aus unserer Familie. Unser Vater und Opa, Paul Lüth wurde 1907 in Grebin geboren und ist am 26. März 1944 in der Ukraine 14 Tage nach seinem 37-zigsten Geburtstag gefallen. Er hinterließ seine Frau Maria mit ih­ren vier kleinen Kindern. Hans, Horst, Annemarie und Rolf. Im Jahr 2009 führte eine Reise seinen Sohn Horst und seine zwei Enkel Jens und Marco zu den damaligen Schlachtfel­dern im ukrainischen Dimitirjewka, nahe des Schwarzen Meeres. Diese Fahrt haben wir gemeinsam mit den Pohnsdorfern André und Sven Rath unternommen. Sven lebte und arbeitete zu der Zeit in der Ukraine. Nachdem wir zu­nächst im Beisein des dortigen Bürgermeis­ters am Denkmal für die russischen Soldaten einen Kranz für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft abgelegt hat­ten, trafen wir den über achtzig jährigen Zeitzeugen Mi­chael. Er zeigte uns Bil­der seines Aufenthaltes mit der Roten Armee in Berlin während der letzten Kriegstage. Wir gingen mit ihm und anderen hinaus aus dem Ort zu einem Feld. Auf diesem grasten friedlich die Ziegen. Hier auf die­sem Feld waren im 2. Weltkrieg die Stellungen der Deutschen.

 

War hier der Vater und Opa gestorben? Allein in der ukrainischen Provinz? 2.000 km von seiner Heimat in Gre­bin entfernt? Weit weg von seiner Familie? Keiner konnte die Frage abschließend beantworten. Wir legten im Geden­ken an Paul Lüth auf diesem Feld einen Kranz ab.

 

Krieg bedeutet auch, dass viele Angehörigen nicht wissen, wo und wie Ihre Liebsten gestorben sind. Dabei gehört diese Kenntnis zu den wichtigen Elementen, die den Abschied, die Trauer und den Seelenfrieden erst möglich machen.

 

Die Suche nach vermissten Soldaten ist eine der Aufgaben des Volksbundes. Auch heute noch werden Gebeine geborgen. Die Gebeine werden auf sogenannten Kriegsgräberstätten zur Ruhe gebettet. Auch einen solchen Friedhof für deutsche Soldaten besuchten wir in der Ukraine. Ein großes Granitkreuz als zentrales Element. Um das Zentrum herum auf der weitläufigen Fläche Stelen mit den Namen der Gefallenen. Zehntausende von Namen. Es sind sehr überwiegend junge Männer. 16 Jahre, 18 Jahre, 22 Jahre - der verdammte Krieg zerstörte auch ihre Zukunftspläne.

 

Der sehr gepflegte Friedhof in der Ukraine wird vom Volksbund unterhalten. Aber die Arbeit der Menschen für den Volksbund ist vielgestaltiger: Sie engagieren sich in der Bildungs- und Jugendarbeit, der Gräberpflege, organisieren Gedenkveranstaltungen oder Spendensammlungen, sind national wie international unterwegs. Die Aufgabe des Volksbundes ist viel mehr als Gräberpflege. Sie ist Beziehungspflege. Beziehungspflege mit unseren Nachbarstaaten in Europa, die Deutschland einst überfallen hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Jugendlichen, die dort für den Volksbund Freiwilligenarbeit leisteten, zu Botschaftern eines friedlichen und offenen Deutschlands.

 

Sehr geehrter Herr Ragwitz, für diesen beispiellosen Einsatz und das ehrenamtliche Engagement bedanken wir uns sehr herzlich bei Ihnen.

 

Unser Gedenken an den Krieg und seine Opfer ist aber auch stets verbunden mit dem Kampf um die Demokratie. Die Vergangenheit hat uns gelehrt, wie schnell es geht, die Demokratie für obsolet zu erklären und am Ende ganz abzuschaffen. Das dürfen wir nicht zulassen, dagegen müssen wir uns mit allen Mitteln wehren, wenn wir uns die Freiheit bewahren wollen. Gedenken spielt dabei eine wichtige Rolle, denn es schärft unseren Blick und unsere Sinne, es ist ein Warnruf, ein immer neuer Anstoß, uns der Vergangenheit zu stellen und sie lebendig zu halten. Das sind wir den Opfern schuldig, aber auch uns selber und unseren Nachkommen, die im wachen Wissen um die Geschichte aufwachsen mögen.

 

 

 

Bild zur Meldung: Feierstunde anlässlich des Volkstrauertages

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Volkstrauertag 2021 (14. 11. 2021)